Nachrichtenbeitrag
Anthroposophischer Dichter Larsen ein überzeugter Antisemit
Norwegen reagiert schockiert auf neue Forschungsergebnisse über den anthroposophischen Dichter Alf Larsen, die ihn als den „größten Antisemiten Norwegens“ sehen. Die Anthroposophen versuchen sich zu distanzieren.
OSLO/BERLIN (NNA) – Forschungsergebnisse von Prof. Jan-Erik Ebbestad Hansen – einem emeritierten Ideenhistoriker der Universität Oslo, der bisher unter anderem zur christlichen Mystik publiziert hat – haben in Norwegen zu einer Debatte über das Verhältnis von Anthroposophie und Antisemitismus geführt.
Im Zentrum der Recherche des Wissenschaftlers steht der anthroposophische Dichter Alf Larsen (1885–1967). Ebbestad Hansen sieht in ihm den „größten Antisemiten Norwegens“, der sogar den nationalsozialistischen Rassewahn explizit als jüdisch etikettierte.
Eine englische Kurzzusammenfassung der Forschungsergebnisse ist Anfang des Jahres in der Zeitschrift „Nordeuropa-Forum“ (Berlin) erschienen (siehe Literaturhinweis), eine umfassende Buchfassung ist in norwegischer Sprache angekündigt. Im deutschsprachigen und internationalen Diskurs sind die zum Teil schon 2009 veröffentlichten Befunde Ebbestad Hansens bisher weitgehend unbeachtet geblieben.
Im Nachlass von Larsen findet sich ein bereits zur Publikation vorbereitetes Manuskript zum „Judenproblem“, das ab 1953 entstand und das Ebbestad Hansen entdeckt hat. Zahlreiche weitere Texte seit den 30er Jahren belegen, dass Larsen im „materialistischen“, aus seiner Sicht nach der Weltherrschaft greifenden Judentum die Wurzel alles Bösen erblickte. In den 50er Jahren verglich er die Juden, in denen er eine Manifestation des Dämons Ahriman sah, mit einem Krebsgeschwür der Menschheit. Explizit benannte er den Nationalsozialismus, den er scharf ablehnte, als jüdisches Projekt.
Die akademische Welt und die Öffentlichkeit in Norwegen reagierten schockiert auf die Recherchen des Ideenhistorikers. Die norwegischen Anthroposophen distanzierten sich von Larsen, in dessen christlich-esoterischer Rekonstruktion der Weltgeschichte sei kein Zusammenhang mit der Anthroposophie zu erkennen.
Ebbestad Hansen insistierte, weil Larsen sich durchaus explizit auf Steiner berief. Zu Lebzeiten hatte dieser auch über die anthroposophische Szene hinaus in Norwegen Bekanntheit erreicht, unter anderem als Begründer der Zeitschrift „Janus“. Durch diese Zeitschrift habe er „die Anthroposophie fruchtbar in das öffentliche Kulturleben Norwegens“ gestellt, heißt es dazu in einer biografischen Darstellung zu Larsen, die von der Forschungsstelle Kulturimpuls in Dornach herausgegeben worden ist.
Verflechtungen
Ebbestad Hansens weitere Nachforschungen dokumentieren zahlreiche Verflechtungen von Antisemitismus und Anthroposophie ab der Zeit zwischen den Weltkriegen. Zwei Besonderheiten im norwegisch-anthroposophischen Diskurs dieser Zeit hebt der Forscher hervor: Im Zentrum des eigenen Selbstverständnisses der norwegischen Anthroposophen stand offensichtlich Steiners Auslegung der nordischen Mythologie, die mit Volks-Missionen verbunden wurde. Am wichtigsten erschien dabei der mit Christus assoziierte „Vidar“, der am Weltende den Fenriswolf zertrümmert, welcher zuvor den alten Göttervater Odin verschlungen hat. Ein wichtiges antisemitisches Motiv bestand in der Vorstellung von einer speziellen physisch-spirituellen Gestalt des jüdischen Blutes.
Prominente Anthroposophen wie Olav Aukrust und Ivar Mortensson-Egmund ersannen in den 20er Jahren nationale Apokalypsen unter Berufung auf Steiner und die Edda. Ingeborg Møller, die Steiner bei seinen Vortragsreisen nach Norwegen begleitete, publizierte in der antisemitischen Zeitschrift „Nationen“ über den norwegischen Genius.
Die judenfeindlichen und explizit faschistischen Ansichten von Møllers Freundin Marta Steinsvik, die in Steiners freimaurerische Aktivitäten eingeweiht war und von ihm persönlich nach Deutschland eingeladen wurde, gingen noch weiter. Sie wurde in den 30er Jahren zu einer bekannten völkischen Aktivistin, ohne ihre anthroposophischen Ideen abzulegen. Møller hingegen wurde 1942 während der deutschen Besatzung Norwegens inhaftiert und ihre Artikel in „Nationen“ zensiert.
Ebbestad Hansen weist außerdem auf die personelle und ideelle Verflechtung der völkischen Anthroposophen Norwegens mit der deutschsprachigen Anthroposophie hin. Helga Geelmuyden, ebenfalls persönliche esoterische Schülerin Steiners, beschwor schon 1918 einen entscheidenden Gegensatz von germanischem und jüdischem Denken. Gegen die als jüdisch bezeichnete Erkenntniskritik Immanuel Kants habe erst die Anthroposophie eine aus Geelmuydens Sicht wesensgemäße deutsche Denkart entwickelt. 1925 publizierte sie in der deutschen Zeitschrift „Die Drei“ über den teutonischen Geist.
In den 30er Jahren ging Geelmuyden mit dem aus der Schweiz stammenden Conrad Englert in der norwegischen Anthroposophischen Gesellschaft gegen Kritiker des Nationalsozialismus vor – auch gegen Larsen. Der stellte unter dem Druck der Zensur unter der deutschen Besatzung 1941 seine Zeitschrift „Janus“ ein.
Hier heißt es in der Biografie der Forschungsstelle Kulturimpuls, die Zeitschrift „Janus“ habe zum NS-Regime „unmissverständlich Stellung“ bezogen und „in klarer Opposition gegen die roten, braunen und schwarzen Diktaturen“ gestanden. Nach dem Krieg sei Larsen wegen seiner Kompromissbereitschaft gegenüber der Zensur deutlich kritisiert worden. Der Dichter wird dann aber gegenüber der Kritik in Schutz genommen, die seine „wunderbare Gedichtsammlung „I Jordenslys“ aus dem Jahr 1946 nicht zur Kenntnis genommen habe.
Antisemitismus, Rassismus und Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus
Ebbestad Hansen weist auch auf die Rolle von Marie Steiner-von Sivers, der Erbin Steiners im Schweizerischen Dornach hin, die mit dem norwegischen Vorstand in den dreißiger Jahren korrespondierte. Sie untersagte dem dänischen Anthroposophen Johannes Hohlenberg, der als Freund des deutschen Landesvorsitzenden Hans Büchenbacher auch in Norwegen als scharfer Kritiker Hitlers wahrgenommen wurde, in diesem Zusammenhang den Nachdruck von Steiner-Vorträgen in der Zeitschrift „Vidar“, die er seit 1924 mit Møller herausgab.
Englert, der in den 20ern zwei lange, positive Artikel über Mussolini aus der Feder Hans von Mays in derselben Zeitschrift abgedruckt hatte, hielt Hohlenberg entgegen, die Anthroposophie sei apolitisch.
Ebbestad Hansen weist darauf hin, dass Englert dennoch eine ganz eigene esoterische Kritik der NS-Blutsmythologie entwickelte: Er behauptete – wie auch Larsen –, die Nazis hätten sich bei den Juden bedient. Selbst Hohlenberg, dessen Hitler-Kritik unter deutschen Anthroposophen heutiger Tage zuweilen Erwähnung findet, teilte in einem Text von 1938 diese Vorstellung, wenn er dem Judentum den Ursprung von Völker- und Rassenhass zuschrieb.
Noch 1948 republizierte er einen seiner antijüdischen Essays aus der Zwischenkriegszeit. Bei Hohlenberg, Englert und Larsen finden sich auf jeweils unterschiedliche Weise – wie Ebbestad Hansen zeigt – Antisemitismus, Rassismus und Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus in einer politischen Position. Larsens Antisemitismus überflügelt dabei aber die Vorstellungen der beiden anderen bei Weitem.
Steiner und Skandinavien
Die entsprechenden Vorstellungen von „Teutonen“ versus Judentum wurden von den genannten norwegischen Anthroposophen durchgängig unter Berufung auf Rudolf Steiners Schilderungen einer kosmischen Evolution des Menschengeistes begründet. Die norwegische Anthroposophie-Rezeption der betreffenden Szene führt Hansen auf spezielle Angaben von Steiner selbst zurück.
Dafür waren seine verschiedenen Besuche auf der Insel und seine Bemerkung über Skandinavien stilprägend. In Oslo hielt Steiner unter anderem 1910 den berühmten Vortragszyklus zur „Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie“ (siehe Literaturhinweis). In einer Nebenbemerkung ging Steiner hier tatsächlich auf ein „okkultes“ Spezifikum des jüdischen Blutes ein. Die „semitische Rasse“ entstehe unter dem Einfluss des im Mond konzentrierten Formgeistes Jahwe sowie der Mars-Geister, die eben aufs Blut wirken. Durch diesen Einfluss sei zu „begreifen, warum gerade die fortgehende Wirkung des Blutes von Geschlecht zu Geschlecht, von Generation zu Generation für das semitisch-hebräische Volk von ganz besonderer Wichtigkeit ist…“
Auf eine solche astrologische Rassentheorie berief sich dann auch Larsen in seinen Überlegungen der 50er Jahre. Bei einem späteren Besuch schilderte Steiner im Dezember 1921 die spezielle Mission der Norweger seit der prähistorischen Eroberung des Landes: Ihr Beitrag sei es, im Nachtodlichen den ehemaligen Angehörigen anderer Nationen Kunde von der physischen Welt zu bringen. (siehe Literaturhinweis)
Vor allem jedoch sei Steiners völkerpsychologische Interpretation der nordischen Mythologie als spezielle nationale Mission aufgefasst worden, so Ebbestad Hansen: Odin, Thor und Vidar seien dabei als regional-kulturelle Erscheinungsformen bestimmter Erzengel und Spiegelungen Christi verstanden worden.
Reaktion
Auf die Reaktion der anthroposophischen Bewegung auf gegenüber diesem Diskurs aus Norwegen darf man gespannt sein. Vor allem stellt sich die Frage, inwieweit die Forschungsstelle Kulturimpuls in ihren Biografien solche Forschungsergebnisse nachträglich einbezieht. Im Falle des italienischen Anthroposophen Massimo Scaligero, der nach Recherchen des US-Historikers Peter Staudenmaier dem Mussolini-Regime nahestand und entsprechend agitierte, steht in der Online-Dokumentation seit Jahren nur der Hinweis: „Dieser Beitrag ist in Bearbeitung“. Auch die nationalsozialistischen Interessen deutscher Anthroposophen, etwa von Roman Boos, werden in den Biografien eher nicht aufgearbeitet.
END/nna/ams
Literaturhinweis:
Jan-Erik Ebbestad Hansen: „The Jews – Teachers of the Nazis? Antisemitism in Norwegian Anthroposophy“, in: Nordeuropa-Forum, Jg. 2015, S. 161-216 (http://edoc.hu-berlin.de/docviews/abstract.php?lang=&id=42343)
Rudolf Steiner: Die Mission einzelner Volksseelen in Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie, Zyklus von elf Vorträgen gehalten in Kristiania (Oslo) vom 7. bis 17. Juni 1910, Gesamtausgabe Bd. 121, Dornach 1982.
Rudolf Steiner: Nordische und mitteleuropäische Geistimpulse. Das Fest der Erscheinung Christi, Elf Vorträge aus dem Jahre 1921, gehalten in Kristiania (Oslo), Berlin, Gesamtausgabe Bd. 209, Dornach 1982.
Bericht-Nr.: 160824-03DE Datum: 24. August 2016
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